Das Thema Prozessdokumentation scheint für viele Steuerberater und insbesondere Mandanten immer noch ein abstraktes Feld zu sein. Viele Unternehmen vernachlässigen es, die eigenen Prozesse aufzunehmen, da sie keinen konkreten Nutzen sehen. Raphael Kammer ist Managing Partner der dpk digital, eines Beratungsunternehmens für digitale Effizienz in Unternehmen und Organisationen. Im Gespräch mit Paul Liese gibt Kammer einen lebendigen Einblick in die Arbeitswelt von Digitalisierungsberatungen. Kammer ist überzeugt, dass Prozessdokumentationen nicht über die Angst verkauft werden sollten, sondern über Mehrwerte.
Das Interview im Wortlaut
Paul Liese: Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcastfolge oder Opti.Cast-Folge, wie es bei uns bei der hsp heißt. Ich habe heute den Raphael Kammer zu Gast. Raphael, das, was wir gleich besprechen, ist ja eine Ergänzung zu dem, was wir letztens im Livestream gemeinsam miteinander besprochen haben. Wir beide haben vor, einen Fachartikel zu schreiben, und haben hier ein paar Fragen von der Redaktion bekommen, denen wir uns jetzt gemeinsam stellen wollen. Und wir dachten, das interessiert vielleicht auch einige Zuhörer*innen. Raphael, geht es dir gut?
Raphael Kammer: Wunderbar, Paul! Dir auch?
Paul Liese: Ja, alles gut. Spannender Tag heute. Fängt gut an und wird heute spannend enden. Die erste Frage, die wir bekommen haben, lautet: Wie kommt die Beratungsleistung beim Mandanten an? Wie wird sie angenommen? Wie ist das bei euch?
Raphael Kammer: Das würde ich gerne zweigeteilt beantworten. Das eine ist die klassische Beratungsleistung, die mit der Optimierung des Rechnungswesens und der Lohnabrechnung einhergeht. Also die Themen, die die Unternehmen auch unmittelbar mit ihrem Steuerberater ohnehin in Verbindung bringen. Da verfolgen wir den Ansatz, dass die Buchhaltung beim Mandanten anfängt und nicht nur der Austausch von Belegen des Rätsels Lösung ist. Wir merken da, dass diese Dienstleistung sehr gut und sehr gerne angenommen wird. Denn wenn die richtig aufgezogen ist, werden wirklich Veränderungen in den Abläufen der Unternehmen herbeigeführt, die sehr schnell spürbare Verbesserungen bringen. Da kann man schon mit Digitalisierung – was ja ein sehr großes Wort ist und zum Teil ominös verstanden wird – zeigen, dass mit den richtigen Arbeitsmitteln viel gemacht werden kann. Bei diesem Feld kann man auch über „quick wins“ sprechen. Man kann relativ viel erreichen. Das hängt natürlich immer ein bisschen davon ab, wo das Unternehmen herkommt und wie weit die digitale Reife da selbst schon vorangeschritten ist. Dann haben wir ja noch das Thema „digitale Personalverwaltung“, mit dem wir arbeiten. Das ist ein bisschen größenabhängig. Je größer die Unternehmen sind, desto genauer kennen sie ihren eigenen Bedarf und sind dann auch sehr dankbar dafür, wenn man ihnen quasi durch diesen Dschungel der Lösungen, die sich mittlerweile auf dem Markt ergeben haben, hilft sich zurechtzufinden und auch über direkte Empfehlungen schneller die Entscheidung herbeizuführen. Und dann das Thema, das uns ja auch verbindet, rund um die Dokumentation. Das ist eine Beratungsleistung, die zum einen natürlich auch aus dem Steuerrecht getrieben wird. Bestimmte Sachen müssen halt dokumentiert werden. Wir verfolgen ja den Ansatz, eher durch eine Dokumentation Optimierungspotenziale zu identifizieren, um dann ganzheitlicher daran zu gehen. Da reden wir auch über moderne Formen der Zusammenarbeit, über Möglichkeiten, wie man Dokumente in Workflows im gesamten Unternehmen prozessiert. Das ist dann nicht mehr unmittelbar nur für das Rechnungswesen, sondern da profitiert eigentlich der gesamte Administrationsapparat, zum Teil auch der Bereich der Leistungserbringung. Das hängt davon ab, wie das Unternehmen aufgestellt wird. Diese Beratungsleistungen, würde ich sagen, kommen grundsätzlich auch gut an, sind allerdings aus der Kanzlei heraus zum Teil etwas schwieriger zu platzieren, weil das nicht unmittelbar das ist, was die Leute erwarten, wenn der Steuerberater sagt: „Pass mal auf, lass uns mal uns über Digitalisierung unterhalten.“
Paul Liese: Warum ist das so? Die Frage steht da jetzt nicht, aber mich interessiert das. Warum ist das so ein Blocker für die Mandanten, wenn der Berater mit genau dem Thema um die Ecke kommt?
Raphael Kammer: Blocker würde ich dazu gar nicht sagen. Es stellt sich eher die Frage: Wie ist die Erwartungshaltung? Das ist das, was ich eingangs sagte. Wenn man sagt: „Lass uns mal deine Buchhaltung optimieren, lieber Mandant“, dann sagt der: „Ja klar, du bist ja eh von mir beauftragt, die Buchhaltung für mich zu erstellen, also wissen wir auch, dass du dich damit auskennst und wir hören dir gerne zu“. Es haben ja auch Erhebungen der DATEV ergeben, dass die Erwartung von mittelständischen Unternehmen an den Steuerberater durchaus sind, dass dieser sie auch bei der Digitalisierung begleitet. Aber da ist die Frage: Wie definiert man für sich als Dienstleistungsfeld die Digitalisierungsberatung? Da geht es ja wirklich bis hin zu neuen Leadership-Modellen, die daraus resultieren. Das ganze Thema New Work zum Beispiel ist nicht eins zu eins Digitalisierung. Aber das gehört trotzdem alles in diesen Pott mit rein. Und wenn wir als Unternehmen damit um die Ecke kommen, ist das nicht unbedingt das, was die Unternehmen von uns im ersten Aufschlag erwarten.
Wie mehr Ideen entstehen
Paul Liese: Okay. Jetzt habe ich gestern durch eine Aussage gelernt, dass die Steuerberater ja digital unterwegs sind. Und zu sagen, die Steuerberater würden Digitalisierung nicht können, wäre falsch. Aber das spiegelt sich ja eigentlich dahingehend wider, dass der Mandant erwartet: Digitalisierung im Bereich der Buchhaltungsprozesse ja, darüber hinaus nein. Wie habt ihr es geschafft, diese Digitalisierungsberatung aufzubauen und das Vertrauen der Mandanten zu gewinnen, dass ihr das auch könnt?
Raphael Kammer: Wir haben uns von Anfang an vorgenommen, ein etwas breiteres Spektrum in das Dienstleistungsverhältnis aufzunehmen. Wir haben das aber nicht von Anfang an gemacht. Wir sind ganz klassisch mit der Optimierungsberatung für das Rechnungswesen und für die Personalverwaltung gestartet. Das sind die Themen, da kommt Vertrauen heraus, sodass die sagen: „Ihr kommt aus einer Kanzlei. Ihr wisst, wie das grundsätzlich funktioniert.“ Wir haben aber parallel dazu auch diese ganzen Office-Themen, beispielsweise diese ganze Microsoft-Welt, mit aufgenommen. Wir arbeiten da nicht in den Systemen und den administrativen Tätigkeiten, sondern wir schauen uns das organisatorisch an. Das nutzen wir zum Beispiel, indem wir mit digitalen Unterschriften arbeiten. Das ist kein Microsoft-Thema, sondern dafür nutzen wir andere Tools. Oder wir laden die Leute von Anfang an auch in kollaborative Arbeitsfelder mit ein, beispielsweise über Teams. Wenn wir ein größeres Projekt haben, organisieren wir das gleich in so einem Programm, auch wenn das Unternehmen damit selbst noch gar nicht gearbeitet hat. Wir nutzen quasi die technischen Hilfsmittel, mit denen wir arbeiten, um ein bisschen Lust auf mehr zu machen. Denn ich bin davon überzeugt, dass es gerade im kleineren Mittelstand so ist, dass die Leute nicht nur der Digitalisierung wegen digitalisieren wollen, sondern sie wollen damit etwas erreichen. Und je besser sie in einer Zusammenarbeit selbst erleben können, was eigentlich das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten bedeutet, der direkte Zugriff auf Dokumente oder auf einmal Dinge mit dem Smartphone machen zu können, dann entstehen deutlich mehr Ideen und auch mehr Motivation, in diese Themen zu investieren.
Paul Liese: Daraus ergibt sich eigentlich die Folgefrage: Kann man als Mandant erwarten, dass ein Steuerberater gleichzeitig ein IT‑Spezialist ist? Oder geht das auch ohne IT‑Know‑how?
Raphael Kammer: Auch da ist die Frage: Was genau ist IT? Wir haben das für uns so gelöst, dass wir keine direkte Beratung selber anbieten, wenn es um IT‑Infrastruktur geht. Bei uns kannst du keinen Laptop kaufen. Wir richten ihn dir auch nicht ein. Wir kümmern uns auch nicht um irgendwelche Security- Features oder Firewall-Konfiguration, die man braucht. Das schließen wir grundsätzlich aus. Natürlich kennen wir uns damit schon ein bisschen besser aus, sodass wir auf einer gewissen Flughöhe die Mandanten für diese Themen zumindest sensibilisieren. Also wenn wir sagen: „Es geht in die Digitalisierung, wir erzeugen immer mehr Daten.“, dann entsteht natürlich auch das Thema „personenbezogene Daten“. Da haben wir dann die Richtlinie der DSGVO. Im Bereich Rechnungswesen haben wir die GoBD, die da mitwirken, die ganzen handelsrechtlichen Vorgaben. Also aus den Rechtsgebieten heraus kommen ja schon Anforderungen, die man neben dem eigentlichen Interesse, seine Unternehmensdaten zu schützen, das man als Unternehmer grundsätzlich hat, auch noch entsprechend bedienen muss. Und das ist wiederum auch ein bisschen unsere Passion. Wir bieten eine rechtskonforme Prozessoptimierung an. Das heißt, wir beraten dahingehend nicht nur, was möglich ist, sondern auch, wie man es im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten richtig umsetzt.
Paul Liese: Okay. Jetzt haben wir hier die Folgefrage: Seit wann gibt es bei Steuerberatern dieses Geschäftsfeld und was sind die Erfolgsfaktoren, wenn man darin einsteigen möchte?
Raphael Kammer: Das finde ich ist eine sehr interessante Frage, denn die kann ich natürlich nicht mit irgendeinem Datum belegen. Das funktioniert nicht. Das weiß ich nicht. Da müssen wir wahrscheinlich bei der DATEV fragen, ob die irgendeine Erhebung haben, da bin ich mir aber nicht so sicher. Ich glaube, dass es auf dem Markt schon recht viele Steuerberater gibt, die ihre Mandanten zumindest in diesem einfachen Bereich – wie kann ich meinen Belegaustausch digitalisieren – unterstützen. Das allerdings eher aus einem Eigeninteresse heraus. Die haben ihre eigenen Verarbeitungswege in der Kanzlei entsprechend optimiert und sagen: „Liebe Mandanten, bitte schickt uns die Daten doch digital zu.“ Und da gibt es entsprechend auch – ich will das Wort jetzt so gar nicht sagen, aber – von dem grünen Softwarehaus durchaus Lösungen, die da recht bekannt sind. Und in diesen Lösungen unterstützen schon recht viele Kanzleien. Wie viele das genau sind, weiß ich nicht, aber ich glaube, es werden sukzessive immer mehr. Das, was wir machen, geht ja darüber hinaus. Wir bieten das auch mit an, aber wir haben einen deutlich breiteren Blick auf das ganze Thema „Digitalisierung“. Ich kann keine absolute Zahl nennen. Ich sehe allerdings, dass es da verschiedene Ansätze bei den Kanzleien gibt. Wir haben das ja bewusst in eine eigene Gesellschaft gepackt und ausgegliedert, weil wir dadurch auch erreichen wollen, dass wir mit Unternehmen zusammenarbeiten können, die nicht Mandant bei der Kanzlei sind, an die wir angebunden sind. Das machen wir auch ganz offen. Wir gehen nicht los und werben die Mandanten ab, weil der Steuerberater häufig in unseren Projekten eine sehr wichtige Rolle spielt. Denn nur die Prozesse im Unternehmen zu digitalisieren ist okay, aber die Potenziale entstehen ja, wenn das dann auch ganzheitlich genutzt wird. Andere Häuser bauen das mit ein. Da guckt man dann in das Leistungsspektrum Buchhaltung und da steht dann auch die Digitalisierung der Buchhaltung. Ausschnitte unseres Leistungsportfolios finden sich dann dort auch wieder.
Top-Thema Digitalisierung
Paul Liese: Jetzt hast du ja schon die Frage ein bisschen mit beantwortet, wie viele Steuerberaterkanzleien Digitalisierungsberatung anbieten. Das ist eine steigende Anzahl an Kanzleien, würde ich sagen, die immer mehr dieses Thema für sich entdecken oder dies eine logische Konsequenz der Sachverhalte ist, dass Themen über Automation und über künstliche Intelligenz künftig mehr und mehr automatisiert laufen werden und man einfach sagt: „Das möchte ich mitbegleiten, anstatt einfach nur zuzuschauen, wie meine Grundtätigkeit in der Kanzlei nach und nach wegfällt“. Oder?
Raphael Kammer: Genau. Letztes sollte aus der rein kaufmännischen Betrachtung durchaus auch ein Motivationsfaktor sein. Man hört ja häufig, wenn man mit Unternehmen darüber spricht, was einem in der Zusammenarbeit mit dem Steuerberater nicht so gut gefällt: „Er berät mich nicht.“ Das hängt ja viel damit zusammen, ob – und da kann man jetzt drüber streiten – die Erstellung von Buchhaltung, von Lohnabrechnung, von den Jahresabschlüssen und die Besprechung solcher eine Beratungsleistung ist oder ob das eher eine Verarbeitung und am Ende eine Deklarationsleistung ist. In den ganzen Kanzleistatistiken, wie diese Umsätze dann geführt werden, ist ja auch wieder die DATEV mit den Erhebungen recht weit und in vielen Kanzleien haben die bis zu 95 % Umsätze – den aktuellen Wert weiß ich nicht –, die aus Deklarationstätigkeiten resultieren. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die Automatisierung im Rechnungswesen dazu führt, dass der Wert dieser Leistung in Zukunft anders interpretiert wird. Wie der dann bemessen wird – da haben wir ja die Steuerberatergebührenverordnung, die darauf entsprechend einwirkt – und was das letztendlich bedeutet, kann ich nicht genau beurteilen. Aber meine Vermutung ist, dass je mehr man weiß, dass das eigentlich nur Datensätze sind, die von einem System ins nächste überspielt und dann automatisiert verarbeitet werden, dass es in Zukunft schwierig sein wird, einfach einen entsprechenden Preis, wie er heute noch mit der wirklichen Handarbeit verbunden ist, am Markt weiter durchzusetzen. Also ist man als Kanzlei gut beraten, sich heute schon damit zu beschäftigen und zu überlegen, was man denn zusätzlich mit diesen Daten und Informationen eigentlich machen kann. Der eine Weg geht hin über das betriebswirtschaftliche Beraten, die komplexere rechtliche Beratung in der Gestaltung, so etwas vielleicht zu entwickeln. Oder man setzt ein bisschen weiter vorne an und sagt: „Wir wollen auch dabei begleiten, überhaut diesen Erfolg im Rechnungswesen und in der Administration in der Automatisierung herbeizuführen.
Paul Liese: Ja. Jetzt kannst du dich ja nicht über Langeweile beklagen, hast du mir vorhin erzählt, als wir uns ein bisschen vorbesprochen haben. Das heißt, der Erfolg ist grundsätzlich möglich, wenn ich mich darauf konzentriere. Und das ist das, was ich in vielen Kanzleien erlebe. Die Kanzleien, die sagen: „Das ist künftig in meiner Tätigkeit ein Schwerpunkt und ich habe ein, zwei, drei Mitarbeiter, die nur das machen.“, sind mit dem Thema immer erfolgreich unterwegs. Würdest du das so bestätigen?
Raphael Kammer: Aus unserer Sicht kann ich das bestätigen. Was ich vielleicht ergänzend mit anführen würde ist: Für das, was ich tue, muss man kein Steuerberater sein.
Paul Liese: Genau.
Raphael Kammer: Ich wiederum habe natürlich einen Hintergrund. Ich wollte ja Steuerberater werden, aber habe mich dann bewusst dagegen entschieden, weil mir klar war, dass die Themen, die mich eigentlich reizen, auch in der Zukunft, weniger mit der Tätigkeit zu tun haben, die jemand nur machen darf, wenn er diesen Titel trägt. Und das bringt Kanzleien in eine spannende Ausgangssituation, in der sie bisher noch gar nicht waren, nämlich was das Thema Recruiting angeht. Welche Leute stelle ich eigentlich ein? Also man kann dadurch, dass man sich in solche Geschäftsfelder begibt, deutlich mehr über den Tellerrand hinausgucken, weil man ganz andere Anforderungen hat. Man kommt so ja viel mehr in den Bereich der Unternehmensberatung. Wenn mich jemand fragt, was ich mache, sage ich: „Digitalisierungsberatung.“ „Ja, was heißt das denn?“ „Unser Fokus liegt in der Prozess- und Organisationsberatung.“ Der nächste Schritt, den wir nicht direkt bedienen, sondern eher über Partnerschaften machen, ist das Thema der technologischen Beratung, also die klassische IT‑Beratung. Da fällt ja das ganze Feld Security / Adminsitration / Hardware mit rein, aber auch das Thema der Lösung. Unsere Vorgehensweise ist: Es gibt oben eine Strategie, dann geht es in die Organisation, dann geht es in die Prozesse und dann guckt man eigentlich erst in die Tools, also die technologische Basis dafür. Und darüber lässt sich super ein Kooperationsnetzwerk entwickeln und sich einfach deutlich breiter aufstellen. Das sind Potenziale, die darin stecken, die viele Kanzleien für sich heben können. Aber das setzt natürlich auch ein Umdenken voraus. Also mit anderen Leuten zusammenarbeiten, sich ganz bewusst in Bereiche zu begeben, in denen man vielleicht noch nicht so versiert ist und wo man auch nicht weiß, in welchem Buch man das nachlesen kann oder in welchem Studium man für diese Tätigkeit aufgefrischt werden kann. Das hat auch so ein bisschen was mit klarer Veränderungsbereitschaft zu tun.
Paul Liese: Das ist ja auch der Grund, warum wir die hsp Community vor einigen Wochen online gestellt haben, damit ihr euch mit anderen, die in dem gleichen Thema unterwegs sind, austauschen könnt. Denn man findet beim Mandanten gewisse Situationen vor und schaut, was das beste Tool dafür ist. Es gibt mittlerweile so viele Tools am Markt, die nur eine einzige Sache richtig gut können, und da schaut man, welches am besten passt. Das kann man nur über ein Netzwerk erreichen. Hier steht so die Frage: Mit wem konkurriert man? Ich sehe das Thema Konkurrenz eigentlich gar nicht. Ich sehe eigentlich ein großes Miteinander, Themen zu gestalten und gemeinsam die Mandanten an der Stelle besser aufzustellen. Denn dann profitiere ich als Kanzlei nach hinten raus ja auch davon, wenn der Mandant besser aufgestellt ist.
Wettbewerb statt Konkurrenz
Raphael Kammer: Das ist richtig. Das Wort „Konkurrieren“ finde ich in der Tat heute vielleicht nicht mehr so ganz zeitgemäß. Richtig ist aber – so ist zumindest meine Wahrnehmung –, dass aus verschiedenen Disziplinen in diesem Bereich der Digitalisierungsberatung versucht wird, einen Einstieg zu finden. Beispielsweise IT‑Systemhäuser, die heute noch ihr Geld damit verdienen, dass sie, wie es immer so schön heißt, Blech verkaufen, also irgendeine Hardware-Konfiguration. Wenn da irgendwelche großen amerikanischen E-Commerce-Giganten sagen, sie wollen jetzt auch in den Bereich für IT mit rein, dann haben die auch auf einmal einen diskutierenden Partner mit im Markt, wo sie gucken müssen, wie sie sich aufstellen. Ich merke tatsächlich immer mehr, dass IT‑Systemhäuser immer mehr versuchen, auch einen Beratungszweig aufzubauen. Da wiederum haben die auch noch ein paar Sachen zu erledigen, weil die Beratung aus einer Lösung heraus das eine ist, aber ein Unternehmen wirklich auf der organisatorischen und prozessualen Ebene zu begleiten – Was ist eigentlich das Unternehmensziel? Wohin will man sich entwickeln? Wie leitet man daraus dann die Auswirkungen auf die Organisation und die einzelnen Prozesse ab? –, hat erstmal nichts mit IT zu tun. Häufig – das ist zumindest mein Erlebnis im Mittelstand – werden Digitalisierungsaktivitäten aus der IT heraus gepusht und dann werden Softwarelösungen eingeführt, die grundsätzlich auch einen Sinn haben, aber nicht immer die richtige Lösung sind für das, was das Unternehmen eigentlich vorhat. Da kommt einfach der Impuls von der falschen Seite. IT ist immer wichtig, aber nicht unbedingt immer für die Prozessausrichtung der richtige Taktgeber.
Paul Liese: Von daher auch die letzte Frage, die wir hier gestellt bekommen haben: Unternehmensberatungen – Wie ist man gegenüber diesen erfolgreich?
Es sind momentan drei Player auf dem Markt. Unternehmensberatungen machen das seit eh und je, Unternehmen helfen zu wollen, sich zu optimieren. Steuerberater kommen jetzt in den Markt. Und so wie du das eben beschrieben hast, die IT‑Systemhäuser auch. Aber es geht ja eigentlich um diese ganzheitliche Beratung. Ist der Prozess vom Anfang – der Kunde ruft beim Unternehmen an und will etwas haben – bis nach hinten raus – die Rechnung wurde gestellt und die Leistung erbracht – optimal? Und das sehe ich genauso wie du. Das kann ich nicht aus der Lösung heraus organisieren und bewerten, ob der Prozess optimal ist, sondern ich muss erstmal lösungsfrei ohne irgendein Tool im Hinterkopf an den Prozess herangehen.
Raphael Kammer: Dem kann ich komplett beipflichten. Was ich spannend finde und womit ich mich gedanklich und auch in der Literatur beschäftige ist die Frage der Zukunft der Beratung. Alle Unternehmen wollen skalieren. Berater an sich auch gerne, aber das ist eben nicht so einfach. Und diese Aufteilung, die ich gerade schon beschrieben habe, mit Organisation, Prozesse und Technologietools, das sind Sachen, die man eigentlich auch schön in einem Angebot vereinheitlichen kann. Wichtig ist nur die Frage: Was bedeutet für einen Beratung? Ist mein Produkt unabhängig? Guckt man wirklich nur auf das Unternehmen und auf die Abläufe, ohne eine eigene Lösung darauf auszurichten, die man vielleicht später im Rahmen eines Cross-Selling-Ansatzes verkaufen möchte? Oder sagt man: „Wir haben ein Lösungsportfolio. Aus dem heraus können wir auch gerne die Prozesse, die darauf einwirken, mitgestalten.“? Das sind glaube ich noch sehr spannende Entwicklungen. Und gerade die großen Namen, die hier auch auf der Liste stehen, sind natürlich weltweit aufgestellte Beratungsgesellschaften, die Beratung als auch Technologie haben. Da könnte man fast, auch wenn es etwas provokant ist, sagen, dass in der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung die Erstellung von Abschlüssen und die Prüfung von Abschlüssen getrennt wird. Ähnlich könnte man das auch im Bereich Digitalisierung sehen. Ist es klug, das alles aus einer Hand zu machen? Das wird die Zeit glaube ich zeigen. Da verschwimmen diese traditionellen Disziplinen der Unternehmensberatung – Managementberatung, Organisationsberatung, Prozessberatung, HR und IT –, weil du diesen Layer der Digitalisierungsberatung über alles legen kannst. Und da dann die richtigen Beratungsansätze für die Zukunft heraus zu entwickeln, ist glaube ich gerade für Steuerkanzleien eine große Herausforderung.
Paul Liese: Aber auch die Chance.
Raphael Kammer: Absolut! Also wir merken das in der Kanzlei, dass das wirklich projektbasierte Arbeiten nichts ist, was die Leute schon seit vielen Jahren immer wieder gemacht haben. Oder auch Methoden der Zielerreichung zum Beispiel. Wir experimentieren da gerade mit OKRs ein bisschen rum, um zu schauen, wie man erstmal in internen Projekten etwas agiler die Zielerreichung steuern kann. Das sind Themen, die sicherlich auch in Zukunft in Steuerkanzleien in irgendeiner Form rund um die Agilität eine Rolle spielen werden, um mit diesen Aufgaben zurechtzukommen.
Paul Liese: Ja. Vielen Dank, Raphael, für dein Feedback. Das ist wertvoll und auch die Impulse, die sich daraus ergeben. Ich bin gespannt auf das Feedback der Hörer*innen und auch der Redaktion, die den Fachartikel jetzt weitergestalten wird. Ich wünsche dir noch einen tollen Freitag und ein schönes Wochenende.
RK: Das wünsche ich dir auch.
Paul Liese: Und das wünschen wir auch allen Zuhörern*innen. Bis dahin, machen Sie´s gut!
Paul ist Geschäftsführer der hsp und derjenige, der die Klappe hält. Seine Top-Themen: Medienbrüche mittels Software abschaffen. Verfahrensdokumentation, IKS, TCMS und weitere Compliance Themen. Sein aktuelles Projekt: Verrechnungspreisdokumentationen ohne Medienbrüche erstellen. Mittels Taxonomie.